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"Komm mit" schreit der Kiebitz in der Sterntaler Filze

Von der Einzigartigkeit der Hochmoore erzählt unsere Autorin Andrea Strauß. Und was ein balzender Kiebitz in der Filze macht.

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Wie ein Blatt im Wind trudelt der Vogel plötzlich zu Boden. „Dem is der Sprit ausgangen!“, flüstert neben mir ein Junge zu seiner kleinen Schwester gewandt. Erst kurz über dem Boden startet der Kiebitz wieder durch. Das Zu-Boden-Trudeln gehört zu seinem Balzflug. Vielleicht möchte er, dass seine Liebste den Atem anhält, wenn sie ihn so sieht. Mit eleganten Flügelschlägen gewinnt er jetzt wieder an Höhe. Auch die beiden Kinder atmen erleichert auf und folgen dem Kiebitz mit den Augen, als dieser eine Runde über der Wasserfläche dreht und laut „Kjuvit, kjuvit!“ ruft. Es hört sich täuschend ähnlich an wie: „Komm mit, komm mit!“

Wir sind unfolgsam. Wir kommen nicht mit. Es gibt gute Gründe, die Vogelbeobachtungsstation nicht zu verlassen: Das Kiebitzmännchen in seinem schwarz-weißen Prachtkleid lebt nämlich im Übergangsbereich von Torfmoor und Wasserfläche in der Sterntaler Filzen bei Bad Feilnbach, einem der Hochmoore des Alpenvorlands. Wollten wir ihm folgen, so würden wir nach den ersten Schritten bis übers Knie im Morast versinken. Außerdem herrschen für das Landschaftsschutzgebiet feste Regeln: Das Betreten ist zum Schutz von Kiebitz & Co nur auf den angelegten Bohlenwegen erlaubt, seine Einladung zum „Komm mit“ also nur eine Höflichkeitssache. In Wirklichkeit ist er sehr froh um die sichere Distanz zwischen den Menschen und seinem Brutplatz.

Gut möglich, dass das Kiebitzpärchen, das zwischen Beobachtungsstation und Wasserfläche nistet, die ersten Bewohner dieses Uferstreifens sind. Vor einem Jahrzehnt erst wurde die Renaturierung der Sterntaler Filzen begonnen. Jahrhunderte, ja, teils Jahrtausende lang wurden die Hochmoore in Europa vom Menschen genutzt. Einst brannte man sie so großflächig ab, dass die Rauchwolken über tausende Kilometer zogen. Anschließend sähte man anspruchsloses Getreide aus. Oder man stach Torf ab, trocknete und presste ihn und verwendete ihn als Brennstoff.

Wenn unser Kiebitz zum nächsten Balzflug ansetzt, könnte er wahrscheinlich sogar bis zur Torfbahn von Nicklheim hinübersehen, wo der Torf bis 2006 in kleine Wagons verladen und teils mit Loks aus dem Moor abtransportiert wurde. Abnehmer waren einst die Münchner Brauereien, die Rosenheimer Saline, Gärtnereien und Privathaushalte. Vor Ort denken manche noch mit Nostalgie an die schwere Arbeit beim Torfabbau. Das „schwarze Gold“ aus den Filzen des Rosenheimer Raums wurde bald aber zu wertvoll für die Verwendung als Brennmaterial oder als Bodenabdeckung.

In Bad Aibling entstand im 19. Jahrhundert das erste bayerische Moorheilbad. Statt den Torf zu verbrennen, badete man jetzt in der schwarzen Masse. Die heilkräftige Wirkung des organischen Materials führte zu einem regen Bädertourismus. Heute kann man sich die jahrtausende alten Moosüberreste auch per online-shop bis nach Riad, Los Angeles oder Hongkong liefern lassen.

Von den kleinen Mengen Torf abgesehen, die als Moorpackung, Moorseife oder Fußbalsam verkauft werden, bleibt der Torf heute im Moor. Ehemalige Abbauflächen wie die Sterntaler Filzen und die Nicklheimer Filzen werden renaturiert. Was nach den Eiszeiten die Natur in unendlich langsamen Schritten vollzog, setzen die Spezialisten bei der Renaturierung wieder in Kraft. Die Flächen werden mit der richtigen Menge an Wasser geflutet. Den Rest übernimmt hauptsächlich Sphagnum. Dieses Torfmoos ist eine der ganz wenigen Pflanzen, die mit den nährstoffarmen und sauren Verhältnissen im Moor zurechtkommen. Es wächst und wächst. Tiefer liegende Schichten sterben ab, verrotten und werden zu Weißtorf, dann zu Brauntorf und endlich zu Schwarztorf.

Bis wir im nächsten Frühling den Kiebitz wieder balzen sehen, wird es gerade einmal ein Millimeter sein, die das Moor zugelegt hat. Vom moosgrünen und rostroten Torfmoos abgesehen ist es den meisten anderen Pflanzen zu karg hier. Ein paar Binsen säumen die Wasserfläche und bieten dem Kiebitz Sichtschutz, kleine Birken kämpfen ums Überleben und eine einzelne Kiefer reckt trotzig die Äste zur Seite. Später im Jahr wird weiß blühendes Wollgras im Wind wippen und im Spätherbst findet das gute Auge Moosbeeren: rostrote Winzlinge verborgen zwischen und unter rostrotem Torfmoos.

Jeder Trick ist den Überlebenskünstlern im Hochmoor recht. Der Sonnentau, den man entdecken kann, wenn man die Oberfläche des Moors aufmerksam betrachtet, fängt mit seinen klebrigen Tentakeln Insekten, um seinen Nährstoffbedarf auf diese Weise zu decken. Wenn der Boden nicht genug hergibt, dann wird man eben auch als Pflanze zum Fleischfresser.

„Kjuvit, kjuvit!“, schreit der Kiebitz wieder. Auch dass er in der Sterntaler Filzen eingezogen ist, hängt mit der Renaturierung zusammen. Die offenen Wasserflächen sind für ihn der passende Lebensraum, ebenso wie für die Enten, Gänse, Lachmöwen, Schwarzstörche und Eisvögel. In den ursprünglichen Hochmooren, wie sie nur noch sehr vereinzelt in Mitteleuropa existieren, würden im Vergleich nur wenige Spezialisten überleben: Moorfrosch und Kreuzotter, Wolfsspinne und Birkhuhn.

Zu manchen Zeiten sind die Torfmoore eine stille und geheimnisvolle Welt. Morgens und abends vor allem, wenn für gewöhnlich Nebel aufzieht und die Entfernungen täuschen. Wenn es ganz still ist, und wenn der Boden unter den Füßen seine Festigkeit verliert. Dann erinnert man sich leicht an die gruseligen Geschichten aus dem Moor, an verschwundene Moorbauern, an Irrlichter und Moorleichen. Zu anderen Zeiten wirkt die Fuizn, wie die Einheimischen das Moor nennen, wie eine riesige Voliere ohne Gitter. Dann geben die Vögel ein Konzert und singen und pfeifen um die Wette.

Um mit ein wenig Gruselfaktor die sonst so heiter wirkende Gegend am Alpenrand zu bereichern, wird die Sterntaler Filzen aber nicht renaturiert. Es ist der Erhalt eines einzigartigen und äußerst faszinierenden Naturraums. Vor allem aber sind Hochmoore bedeutende Kohlenstoffspeicher. Freilich ist die Sterntaler Filzen mit ihren 12 Quadratkilometern Fläche winzig im Vergleich zu den wirklich großen Moorgebieten dieser Erde wie dem Westsibirischen Regenmoorgebiet, das zweimal so groß ist wie Deutschland. Aber der Charme liegt im Kleinen.

„Schaug, jetzad hat er tankt. Jetzad konn er wieda fliagn.“ Der Kiebitz hat zu einem weiteren Balzflug abgehoben. Das Mädchen quittiert die eleganten Flügelschläge des Vogels mit anerkennendem Nicken. „Ja, jetzad geht´s wieda. Der kummt jetzad alloa zrecht.“

-Andrea Strauß-